Der professionelle Umgang mit Konflikten
Ein Marktführer auf Wachstumskurs. Der bisherige Gesamtvertriebsleiter soll sich auf den Innendienst fokussieren. Ein neuer Vertriebsleiter wird für den Außendienst eingestellt. Beide Vertriebsleiter sind hierarchisch gleichgestellt. Der eine kennt sich im Markt und im Unternehmen bestens aus und will nicht loslassen. Der andere ist Quereinsteiger mit hoher Management- und Sozialkompetenz und will sich positionieren. Der Machtkampf beginnt. Es bilden sich unterschiedliche, wechselnde Koalitionen. Auf Mitarbeiter, wie auf Kollegenebene. Die Situation eskaliert….
Jeder kennt sie, wenige mögen sie. Konflikte gibt es überall, wo Menschen aufeinandertreffen und mehr als nur oberflächlich miteinander zu tun haben – so auch in Unternehmen. Sie verringern die Motivation und die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter, generieren Reibungsverluste und wirken sich dadurch in der Regel negativ auf das Betriebsergebnis aus.
Es ist nicht möglich und Ziel alle Konflikte im Unternehmen zu vermeiden. Und auch nicht sinnvoll. Kreative Entwicklungen oder Musterwechsel werden ohne Konflikte schwieriger bis unmöglich. Die Kunst ist es, mit Konflikten professionell umzugehen. Das ist in erster Linie Aufgabe jedes einzelnen. Doch ab einem gewissen Eskalationsgrad ist professionelle Konfliktmoderation hilfreich.
Wann ist professionelle Konfliktklärung sinnvoll?
Als grobe Richtlinie für den Umgang mit Konflikten gelten weiterhin die bekannten neun Stufen der Konflikteskalation von Friedrich Glasl (1994, S. 216, 218-219).
Solange die Betroffenen noch in der Lage sind, den Konflikt selbst zu klären und zu einer tragfähigen Lösung zu bringen, bedarf es keiner Einschaltung Dritter. Eine Moderation wird erst dann sinnvoll, wenn man selbst nicht mehr weiterkommt. Oder wenn der Konflikt so weit eskaliert ist, dass eine konstruktive Diskussion nicht mehr möglich ist. Wenn alle guten Vorsätze nach kurzer Zeit wieder in Angriffe und wechselseitige Beschuldigungen abgleiten.
Das heißt, nach F. Glasl ab Stufe drei – wenn Konfliktparteien deutlich den Druck erhöhen, um ihre Meinungen durchzusetzen, Gespräche abgebrochen werden und sich der Konflikt verschärft – kann Konfliktmoderation weiterhelfen. Doch schon ab Stufe fünf, wenn Unterstellungen in Umlauf gebracht werden und die Glaubwürdigkeit des „Gegners“ untergraben wird, ist eine Mediation schwer.
Die Kunst ist es also rechtzeitig einzugreifen, wenn der Konflikt zu eskalieren beginnt.
Konfliktmoderation oder Mediation? Was ist der Unterschied?
Neben einer entsprechenden Ausbildung, zeichnet einen Mediator vor allem Allparteilichkeit aus. Das heißt, dass er weder neutral oder unparteiisch noch objektiv agiert. Er richtet seine Aufmerksamkeit auf alle Konfliktparteien und deren Bedürfnisse gleichermaßen. Und er enthält sich jedes Urteils. Seine Aufgabe ist allein, den Klärungsprozess zu organisieren. Und die Parteien durch den Prozess bis hin zu einer Suche nach Lösungsmöglichkeiten und – entscheidend – zu Vereinbarungen zu führen.
Nach dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit sind die Parteien selbst verantwortlich für die Inhalte, die besprochen werden, und entwickeln selbst ihre ureigene Lösung des Konfliktes. Nur sie können „das Kriegsbeil begraben“.
Und das kann nur funktionieren, wenn von Beginn an Ergebnisoffenheit gewährleistet wird. Wenn von vornherein ein Ergebnis feststehen soll, ist professionelle Konfliktklärung nicht sinnvoll und wirkt unglaubwürdig.
Unerheblich ist auch, wer den Konflikt begonnen hat und wer welchen Anteil hat. Ausschlaggebend ist, dass beide Parteien an einer Lösungsfindung interessiert sind.
Wenn alle Konfliktbeteiligten sich auf die Konfliktmoderation, den gewählten Prozess und den spezifischen Moderator einlassen und bereit sind mitzuwirken, sind optimale Voraussetzungen geschaffen. Es gilt das Prinzip der Freiwilligkeit.
Allerdings geht z.B. die Klärungshilfe nach C. Thomann davon aus, dass es Führungsaufgabe und Fürsorgepflicht ist, bei Konflikten einzugreifen. Um diese wahrnehmen zu können muss er mit seinen Mitarbeitern klärende Gespräche führen können. Das heißt, die Mitarbeiter müssen sich dem Gespräch stellen. Es genügt der Klärungshilfe also, wenn die oberste am Konflikt beteiligte Führungskraft eine Konfliktmoderation möchte. Die eventuelle Unwilligkeit der betroffenen Mitarbeiter akzeptiert der Klärungshelfer als natürliche Haltung und arbeitet damit professionell im Rahmen der Moderation.
Über allem steht das Prinzip der Vertraulichkeit. Nur wenn alle Prozessbeteiligten sich der Verschwiegenheit aller Anwesenden sicher sind, wird die Offenheit entstehen, die zur Konfliktbearbeitung nötig ist.
Was haben die Beteiligten von einer guten Konfliktklärung?
- Die Betroffenen lernen wieder miteinander zu reden – außerhalb ihrer konfliktspezifischen Muster.
- Die Ursachen des Konfliktes werden herausgearbeitet und offengelegt – die Wahrnehmung für die „andere Seite“ wird geöffnet, und auch das Verständnis für den „eigenen Anteil daran“ wächst. Klarheit entsteht.
- Konstruktive Lösungsoptionen werden gemeinsam entwickelt und tragfähige Vereinbarungen getroffen.
- Konfliktmoderation schont Beziehungen – die Betroffenen arbeiten im Rahmen der Moderation oft zum ersten Mal wieder miteinander statt gegeneinander.
- … und sie schont Ressourcen z.B. Zeit, Geld, Motivation.
Wie läuft eine Konfliktmoderation/Mediation ab?
Je nach Art des Konfliktes und Ausbildung/Ausrichtung des Mediators wird an eine Mediation unterschiedlich herangegangen. Der Kern ist jedoch immer ein ähnlicher.
- Die Vorarbeit
Konfliktklärung beginnt mit dem – häufig telefonischen – Kontakt zwischen dem Konfliktverantwortlichen und dem Moderator. Ziel ist ein Kennenlernen der Situation und der Entscheidung, ob eine Konfliktmoderation das geeignete Mittel der Wahl ist. - Das moderierte Treffen der Konfliktparteien
Im Einstieg wird der organisatorische Rahmen geklärt und die gemeinsame Zielsetzung verdeutlicht. Die Prinzipien, insbesondere der Vertraulichkeit und der Allparteilichkeit, werden vereinbart.
In der Arbeitsphase werden zuerst die individuellen Sichtweisen jedes Beteiligten aufgenommen und vom Moderator hinterfragt. Wichtig dabei ist, dass jeder einzelne ungestört seine Perspektive darlegen kann.
Das Thema mit dem offensichtlich größten Konfliktpotential wird zuerst ausgewählt und in der Folge bearbeitet. Das „Bearbeiten“ ist eine sehr zentrale Prozessphase. Mit hilfreichen Methoden der Entschleunigung (z.B. Zuhören, Paraphrasieren, Doppeln) geht es im Wesentlichen um die Anerkennung konträrer Sicht- und Erlebnisweisen. Aber auch um das Aufarbeiten entstandener emotionaler „Kratzer“.
Erst im nächsten Schritt wird eine Zukunftsplanung mit konkreten Vereinbarungen entwickelt. Diese können sich sowohl auf den zukünftigen Umgang miteinander als auch auf konkrete fachliche Vorgehensweisen beziehen.
Die Abschlussphase dient dazu, gemeinsam den gegangenen Weg zu reflektieren und zu würdigen.
Je nach Konflikt und entsprechender Themenvielfalt, wird eine Konfliktmoderation 1-2 Tage in Anspruch nehmen oder auch mehrerer moderierter Treffen bedürfen. - Die Nachbereitung
Nach einer Mediation bleibt die Gefahr, dass Vereinbarungen im Alltag untergehen oder alte Muster wieder hervortreten. Es kann hilfreich sein, gemeinsam mit den Konfliktparteien Erreichtes zu würdigen. Und dort, wo es nötig ist, nachzuarbeiten.
Nachsatz
… und der eingangs erwähnte Marktführer auf Wachstumskurs? Nur durch professionelle Konfliktklärung kann in solch einer Situation Klarheit entstehen. Klarheit über Sichtweisen, Erlebnisse und emotionale Betroffenheit, die hinter dem Konflikt stehen. Über den zukünftigen Umgang miteinander, mit den Mitarbeitern, mit Projekten und Zusammenarbeit. Über Möglichkeiten, Produktivitätsverluste zu vermeiden oder einzuschränken. Dabei gewinnen viele Seiten: die zwei Vertriebsleiter Innen- und Außendienst, deren verantwortliche Führungskraft, die Mitarbeiter der Vertriebsleiter, die Kunden, das Unternehmen – alle, die mittel- oder unmittelbar, die Auswirkungen des Konfliktes zu spüren bekommen.